Der Hebammenkreißsaal

Interprofessionelles Betreuungskonzept für die natürliche Geburt

Der Hebammenkreißsaal (HKS) ist kein spezieller Raum oder ein räumlich abgetrennter Kreißsaal, sondern ein primär interprofessionelles Betreuungskonzept für gesunde Schwangere. Durch die Implementierung eines HKS wird das geburtshilfliche Angebot innerhalb einer Klinik um eine hebammengeleitete Betreuung erweitert. Somit wird der Schwangeren ermöglicht, ihren Geburtsprozess so autark wie möglich zu erleben. Wenn keine Geburtsrisiken auftreten, wird sie im HKS ausschließlich von Hebammen begleitet. Bei höherem medizinischen Bedarf steht die Versorgungsstruktur der Klinik mit allen Fachärzt*innen zur Verfügung.

Das Konzept des HKS ist durch das Netzwerk Hebammenkreißsaal im Deutschen Hebammenverband (DHV) mit einem definierten Kriterienkatalog hinterlegt.

Kontakt

So arbeitet ein Hebammenkreißsaal

Fast 98 Prozent aller Kinder in Deutschland werden in einer Geburtsklinik geboren. Die meisten Schwangeren wünschen sich eine natürliche Geburt mit einer durchgehenden, zugewandten Betreuung, die alles medizinisch notwendige leistet, bei der aber nur medizinisch eingegriffen wird, wenn es absolut nötig ist. Sie wünschen sich im Falle von Komplikationen, dass sofort adäquate medizinische Infrastruktur zur Versorgung vorhanden ist. Aber eben auch nur dann.

Ein Hebammenkreißsaal ist eine Ergänzung des geburtshilflichen klinischen Angebots und eignet sich für Kliniken in jeder Versorgungsstufe, von kleinen Geburtenstationen bis hin zu Kliniken der Maximalversorgung. Ein „Ja“ zum Hebammenkreißsaal bedeutet kein „Nein“ zur Ärztin/zum Arzt oder zum interprofessionellen Kreißsaal.

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Zur Organisation

Mögliche räumliche Organisation des Hebammenkreißsaals:

  • integriert in den interprofessionell geleiteten Kreißsaal, gemeinsame Nutzung der Räumlichkeiten oder
  • im selben Haus mit eigenen Räumlichkeiten oder
  • auf dem Klinikgelände in einem separaten Gebäude oder
  • von der Klinik entfernt 

Organisation der Hebammenteams für den Hebammenkreißsaal:

  • im gesamten Team integriert, aus dem regulären Hebammenteam betreuen Hebammen bei Bedarf den HKS
  • im gesamten Team integriert, aber es erfolgt eine Zuteilung, wer (wann) in welchem Betreuungskonzept (interprofessionell oder hebammengeleitet) arbeitet; es gibt eine vorherige feststehende Einteilung für den HKS
  • in zwei getrennten Hebammenteams unter einer Leitung: ein Team für den HKS und ein Team für den interprofessionellen Kreißsaal
  • in zwei getrennten Teams mit zwei getrennten Teamleitungen

Vorurteile entkräften und Vorteile sichtbarer machen

Viele Frauen wünschen sich eine individuelle, hebammengeleitete Betreuung, ohne auf die Infrastruktur der Geburtsklinik zu verzichten. Momentan haben Gebärende oft nur die Möglichkeit einer hebammengeleiteten Geburt im außerklinischen Setting.

Die Einführung von Hebammenkreißsälen trägt dazu bei, die Wahlmöglichkeiten für Frauen während der Geburt zu erweitern und gleichzeitig die Rolle der Hebammen in der Geburtshilfe zu stärken. Es betont die Bedeutung einer ganzheitlichen, individuellen Betreuung während des Geburtsprozesses.

Ein HKS hebt die Qualität der gesamten Geburtshilfe. Vorurteile wie, ein Hebammenkreißsaal sei nicht sicher oder dort müsse öfter medizinisch interveniert werden, können vor den internationalen Studienergebnissen nicht bestehen. Hier zeigt sich deutlich, dass gesunde Frauen im HKS genauso sicher gebären wie in den interprofessionellen Kreißsälen.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat zu diesem Thema die sogenannte GEscHIcK-Studie (Geburt im hebammengeleiteten Kreißsaal – Entscheidungsabläufe, Qualitätssicherung und Best-Practice-Modell) beauftragt. Sie kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass die hebammengeleitete Geburtshilfe dieselbe Sicherheit bietet, wie eine Geburt unter Leitung eines interdisziplinären Teams.

Verbesserter Betreuungs- und Geburtsprozess

Die Hebamme ist, wenn sich das Konzept HKS für die Gebärende eignet, für die Betreuung der werdenden Mutter zuständig und begleitet sie während des gesamten Geburtsprozesses.

Hebammengeleitete Betreuung

Die Hebamme betreut die Frau und Familie in der Schwangerschaft und führt mindestens zwei Vorgespräche in der Schwangerschaft durch, in denen sowohl die Krankheitsgeschichte, als auch die Wünsche der Frau bezüglich der Geburt erfragt werden. Hier entscheidet sich, ob das Konzept Hebammenkreißsaal für die Gebärende grundsätzlich geeignet ist.

Der gesamte Betreuungsprozess wird von Hebammen in Zusammenarbeit mit dem gesamten geburtshilflichen Team geleitet. Bei fachlichen Fragen finden ärztliche Konsultationen oder Überleitungen der Betreuung in den interprofessionellen Kreißsaal statt. Hierfür ist in der Regel kein Raumwechsel nötig. Es erweitert sich lediglich das betreuende Team auf das ärztliche Personal.

Physiologische Geburt

Der Hebammenkreißsaal fördert die physiologische Geburt, was bedeutet, dass die Betonung auf natürlichen Geburtsprozessen liegt. Interventionen und medizinische Eingriffe werden reduziert, und es wird versucht, den natürlichen Verlauf der Geburt abzuwarten und zu unterstützen.

Ein Grundprinzip des Hebammenkreißsaals ist eine Eins-zu-eins-Betreuung, wobei eine Hebamme sich individuell und kontinuierlich um eine werdende Mutter kümmert.

Positive Auswirkungen auf die Arbeit im Klinik-Kontext

Die Hebammenarbeit

Das Konzept des Hebammenkreißsaals zielt unter anderem darauf ab, Hebammen eine erfüllende und zufriedenstellende Arbeitsumgebung zu bieten, in der sie ihre Fachkenntnisse und Fähigkeiten optimal einsetzen können. Die Eins-zu-eins-Betreuung im HKS geht mit einer durchgängigen, intensiven Geburtsbegleitung einher – das Kernelement der originären Hebammentätigkeit. Diese Möglichkeit zu haben, ist eine echte Bereicherung. Durch die wiedererlangte Autonomie steigt die Arbeitszufriedenheit, was sich wiederum positiv auf die Betreuung der Frauen im interprofessionellen Kreißsaal auswirkt.

Die interprofessionelle Zusammenarbeit

Die Arbeit im HKS erfordert eine enge Abstimmung mit allen, die Teil des geburtshilflichen Teams sind. Jede Profession ist wichtig und trägt zum Gelingen der Geburt bei. Ausgehend von diesem Verständnis verbessert sich die Kommunikation und die Zusammenarbeit im HKS. Alles wird gemeinsam erarbeitet: Über die Ein- und Ausschlusskriterien bis hin zur Planung und Durchführung eines gemeinsamen Fortbildungsprogramms. In Kliniken mit HKS erleben Ärzt*innen, Hebammen und Pflegekräfte, dass sie gerufen werden, wenn ihre fachliche Beratung benötigt wird. Sie erleben auch, dass eine physiologische Geburt in ihrer Klinik keiner ärztlichen Betreuung bedarf. Berufliche Grenzen werden erkannt und akzeptiert und gemeinsam erarbeitete Prinzipien gelebt – die beste Grundlage für ein verständnisvolles Miteinander.

Ausbildungsort Hebammenkreißsaal

Der HKS ist ein idealer Ausbildungsort, denn der*die Studierende ist hier nur Beobachter*in. Somit kann er*sie den Fokus ganz auf den Geburtsverlauf legen, ohne eigene Arbeitsschritte durchzuführen oder zu reflektieren.

Die Geburtsleitung hat die staatlich geprüfte Hebamme.

Vorteile für die Klinik

Aus wirtschaftlicher Sicht ist der HKS eine lohnenswerte Investition. Er ermöglicht beschriebene Prozesse, einen hohen Qualitätsstandard, und hat eine sehr positive Außenwirkung. Obwohl die Implementierung erst einmal eine Projektphase von mehreren Monaten, einen hohen Fortbildungsaufwand und ein zeitintensives Projektmanagement bedeutet, zahlt sich diese Investitionen auf lange Sicht aus. Mit Übernahme der Hebammen ins Pflegebudget ab 2025 ist auch die Refinanzierung der Personalstellen gesichert. Das heißt, die erforderliche Eins-zu-eins-Betreuung im HKS kann so gewährleistet werden.

Noch Fragen?

Jede Frau, die kein medizinisches Risiko mitbringt, kann im Rahmen des HKS gebären. Das bedeutet, dass eine gesunde Gebärende ohne bzw. mit niedriger Risikoeinstufung während der Schwangerschaft sich grundsätzlich für das Konzept eignet. Die Gebärende muss wissen, dass sie die Geburt und Geburtsplanung maßgeblich mitgestaltet.

Eine Geburt ist zunächst ein normales Ereignis und es gibt im Geburtsverlauf äußerst wenige wirkliche Notsituationen. Sollte diese Situation eintreten, wird das ärztliche Personal sofort hinzugezogen und die Frau wird in die interprofessionelle Betreuung übergeleitet. Der häufigste Überleitungsfall im HKS ist der Schmerzmittelbedarf der Frau. Das ist kein Notfall, macht aber trotzdem eine fachärztliche Betreuung, und daher die Überleitung notwendig

Informieren Sie sich dazu gern in unserem „Projektplan Implementierung eines Hebammenkreißsaals“ und in unserem DHV-Podcast zum Thema. Wir bieten auch unregelmäßig Informationsveranstaltungen zum Thema an, Termine dazu finden Sie ggf. in unserem Fortbildungsbereich. Sollten Sie darüber hinaus Fragen haben, kontaktieren Sie uns gern.

Tatsächlich gibt es in einigen Bundesländern Fördermittel für die Implementierung. Diese Fördermittel sind unterschiedlich hoch und an verschiedene Bedingungen geknüpft. Informieren Sie sich dazu gern bei Ihrer zuständigen Regierungsbehörde oder beim jeweiligen Hebammenlandesverband.

Das kommt darauf an, wie das Fortbildungsniveau im Team bereits ist. Folgende Themen sollte das interprofessionelle Team, das einen HKS anbietet, kennen: Erstellung und Kenntnis einer gemeinsamen Ethik, Expertinnenstandard physiologische Geburt und Kommunikation im Team.
Das Hebammenteam sollte beispielsweise zu den Themen alternative Schmerzlinderung, aufrechte Gebärhaltung, Durchführen der U1, Gesprächsführung, CTG-Beurteilung und zur Versorgung kleinerer Geburtsverletzungen geschult sein. Ebenfalls unerlässlich ist das praktische Üben einer Dammnaht.

Die Haftungsregelung ist wie immer in der Klinik: Jede Berufsgruppe (Hebammen, Ärzte) ist für ihre Handlungen und ihre Dokumentation verantwortlich. Allgemein gilt für die Hebamme, dass ihr Versicherungsschutz nicht in allen Kliniken gleich ist. Angestellte Hebammen sind berufshaftpflichtversichert durch den Arbeitgeber. Wichtig: Die Höhe der Deckungssumme sollte dabei mindestens 6 Millionen Euro betragen. Grobe Fahrlässigkeit sollte hier eingeschlossen sein. Unsere Empfehlung an angestellte Hebammen lautet grundsätzlich: Versichern Sie sich zusätzlich über den DHV über eine Berufshaftpflicht, die auch einen Rechtsschutz inkludiert.

Die Schwangeren müssen über das hebammengeleitete Betreuungskonzept aufgeklärt sein und einen Behandlungsvertrag dazu unterschreiben, in dem dargestellt ist, dass die Schwangere bis auf Weiteres auf den Facharztstandart der Klinik verzichtet und in eine rein hebammengeleitete Betreuung einwilligt. Dieses Einverständnis kann jederzeit widerrufen werden.

Hebammenkreißsäle im Netzwerk DHV

Das Netzwerk verfolgt das gemeinsame Ziel, das Konzept Hebammenkreißsaal zu stärken, sich über Erfolge und Schwierigkeiten auszutauschen und die Kriterien weiter zu entwickeln. Die auf der Landkarte fixierten Einrichtungen arbeiten aktiv in diesem Netzwerk mit.

 HKS+ zertifizierter Hebammenkreißsaal

Sie möchten einen Hebammenkreißsaal in ihrer Klinik einführen oder haben dies bereits getan, sind aber hier noch nicht aufgenommen? Dann melden Sie sich gern bei Jana Fischer unter fischer@hebammenverband.de.

Für mehr Sicherheit: Risikoauditierung und HKS+Zertifikat

Die Risikoauditierung betrachtet den Hebammenkreißsaal auch aus der Sicht der Patientinnensicherheit. Sie beinhaltet eine detaillierte Beschreibung von Überleitung, Ein- und Ausschlusskriterien anhand des vom DHV erstellten Risikokatalogs. Eingeschlossen sind aktuelle klinische Leitlinien, Kriterien der außerklinischen Geburtshilfe sowie die Einhaltung sicherer Prozesse, zum Beispiel des Vier-Augen-Prinzips sowie die kollegiale Beratung und Betreuung. Nach bestandener Risikoauditierung erhält der teilgenommene HKS das HKS+Zertifikat als Nachweis für die erfüllte Kriterien und für die hohen Sicherheitsstandards.

Somit bietet der HKS aus Sicht der Versicherer eine sehr gute Möglichkeit, Prozesse zu beschreiben und die hebammen­geleitete Geburtshilfe noch sicherer zu machen.

Der Deutsche Hebammenverband ist stolz und glücklich, diesen Prozess zu begleiten und damit einen wichtigen Schritt für die hebammengeleitete Geburtshilfe in Deutschland zu gehen. Wir möchten mit dieser Zertifizierung zeigen, dass die jeweiligen Prozesse im HKS patientinnenorientiert, durchdacht, hinterlegt und sicher sind – womit sie eine weitere Qualitätsentwicklung im Bereich HKS und der Patientensicherheit in der klinischen Geburtshilfe insgesamt bedeutet.

Wenn ein Hebammenkreißsaal Interesse an einer Risikoauditierung hat, dann ist der Ansprechpartner entweder die Geschäftsführung, der geburtshilfliche Versicherer oder eine Gesellschaft, die Risikoauditierungen durchführt.

Ansprechpartner beim DHV sind Andrea Köbke, Beirätin für den Angestelltenbereich, unter koebke@hebammenverband.de oder Jana Fischer, Assistenz des Präsidiums, unter fischer@hebammenverband.de.

 

Die Risikoauditierung wird nicht vom DHV, sondern in Kooperation mit dem DHV und einer Gesellschaft für Risikoauditierung durchgeführt. Es gibt definierte Mindestvoraussetzungen durch den Kriterienkatalog des Netzwerks Hebammenkreißsaal im DHV, der durch die jeweiligen Prüfkriterien der Prüfgesellschaft ergänzt wird.

Für die Auditierung gibt es konkrete Anforderungen und festgelegte Hauptkriterien, die ein Hebammenkreißsaal zu 100% erfüllen muss, beispielsweise, dass wenigstens eine Risikoauditorin eine Hebamme mit mindestens drei Jahren klinischer geburtshilflicher Erfahrung sein muss.

Es gibt einen gemeinsam entwickelten Prüfkatalog des DHV und den der Risikoauditor*innen. Dieser enthält sowohl Kriterien, die das Konzept HKS mindestens erfüllen muss, und Kriterien, die aus Sicht eines Risikomanagements notwendig sind.

Die Schnittmenge aus diesen beiden Anforderungsprofilen ergibt das HKS+Zertifikat.

Grundsätzlich kommt eine Kooperation mit dem DHV infrage, wenn die Prüfgesellschaft klinische Risikoauditierungen durchführt und mit dem DHV einen gemeinsamen Prüfkatalog erarbeitet hat, der von Seiten des DHV Hauptkriterien enthält, die zwingend erfüllt sein müssen. Zu diesen Kriterien zählen beispielsweise die Vorhaltung und Planung der Eins-zu-Eins-Betreuung und der Kriterienkatalog als Handlungsbasis.

Das Zertifikat ist jeweils für drei Jahre gültig, allerdings müssen in diesem Zeitraum bestimmte Zwischenschritte erfüllt werden. 

Es beginnt mit der grundsätzlichen Risikoauditierung, in diesem werden die Prozesse des Hebammenkreißsaals aus Perspektive der Patientinnensicherheit und auch aus der Perspektive des Konzepts überprüft. Über die Zertifikatsvergabe entscheidet der DHV nach festgelegten feststehenden Kriterien. Die Zertifikatsvergabe erfolgt zeitnah nach bestandener Risikoauditierung. 

Nach 18 Monaten erfolgt eine Selbstauskunft des HKS. Eine Rezertifizierung ist nach drei Jahren möglich.

Weiterführende Informationen

Sollten Sie darüber hinaus noch Fragen haben, können Sie sich jederzeit entweder an Andrea Köbke, DHV-Beirätin für den Angestelltenbereich oder an Jana Fischer, Assistenz des Präsidiums, wenden. Die Kontaktdaten finden Sie am Seitenanfang.

  • Deutsches Netzwerk für Qualitäts­entwicklung in der Pflege und Verbund Hebammenforschung (Hrsg.): „Expertinnen­standard zur Förderung der physiologischen Geburt. Entwicklung – Konsentierung – Implementierung“, Hochschule Osnabrück, 2014

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