Ein ereignisreicher Tag mit vielen Fachforen, unter anderem die Frauenzentrierte Hebammenarbeit in der Schwangerschaft, hier einige Eindrücke des Tages.

Fachforum “Frauenzentrierte Hebammenarbeit in der Schwangerschaft”

Die Arbeit von Hebammen beginnt nicht erst mit der Geburt eines Kindes oder gar erst im Wochenbett. Das Fachforum zur Mittagsstunde machte deutlich, wie wichtig es für die Frau ist, so früh wie möglich eine Hebamme an ihrer Seite zu haben.

Der Ruf nach einer individuellen Begleitung bei einer immer diverseren Gesellschaft wird immer lauter – ein Ruf, dem viele Hebammen auch gerne folgen möchten, um die bestmögliche Begleitung der von ihnen begleiteten Frauen sicherzustellen. Doch Anspruch und Wirklichkeit prallen auch hier, wie so oft, aufeinander. „Diversität ist Chance und Herausforderung zugleich“, so Prof.in Ute Lange von der hsg Bochum in ihrem Kurzvortrag.

Sie hob besonders den Aspekt der sozialen Ungleichheit hervor, der sich z.B. bei Frauen mit Behinderung, Migrationshintergrund oder mit sprachlichen Barrieren auftun kann. Lange sieht den gesellschaftlichen Auftrag von Hebammen darin, den Fokus auf Frauen mit weniger Teilhabe zu lenken und die eigene Praxis kritisch zu hinterfragen. Dies beginne schon damit, wie wir unsere Informationen gestalten. Wer wird auf gezeigten Bildern oder Illustrationen eigentlich dargestellt? Heißt das, so ist es „normal“ und „richtig“ und wir behandeln am liebsten diese Personen? Wie informieren wir? So, wie es unserem Glauben nach für das Leben optimal ist? Ute Lange endete mit vielen praktischen Tipps, wie man der eigenen Voreingenommenheit begegnen und sich informieren kann.

Ganz nah dran an den Frauen mit ihrem Konzept der hebammenART® sind Heike Parsdorfer-Toth und Sophie Kraft von der Hebammenpraxis „Bauchgefühl“ in München. ART steht für Affektive Regulationstechnik. Sie umfasst einen sehr frühen Erstkontakt ab der 6. Woche und ermöglicht einen guten affektiven Kontakt zur Schwangeren. Schwangerschaftsbedingte Veränderungen werden besprochen, der Bauch befühlt, die Selbstwahrnehmung von Anfang an z.B. durch Massagen gestärkt. Sie berichteten aus ihrer Praxis mit ihrem Gesundheit fördernden Betreuungsmodell. Dies stützt sich u.a. auf sogenannte EMH (Effektive Manuelle Hilfen)-Techniken®.

Einen weiteren wichtigen Aspekt in das Forum brachte die erste Vorsitzende des Landesverbandes der Hebammen NRW Barbara Blomeier, die interprofessionelle Schwangerenvorsorge aus der eigenen Praxis vorstellte. Sie selbst arbeitet als Hebamme in einer Praxis, die gleichberechtigt mit einer Frauenärztin unter einem Dach kooperiert. Hier gestalten Hebammen und Ärzt*innen wechselseitige Vorsorge nach den Mutterschaftsrichtlinien auf Augenhöhe. Blomeier warb aus Überzeugung für dieses Modell, auch wenn es für alle Beteiligten viel Offenheit, Bereitschaft und Vertrauen erfordere. Dieses Modell ermögliche es der Frau, umfassende Entscheidungsmöglichkeiten zu erkennen. Es baue so Ängste, Unsicherheiten und Schwierigkeiten ab. Blomeier betonte zum Abschluss der Veranstaltung die Wichtigkeit der Schwangerenvorsorge und appellierte an die Kolleg*innen, trotz Unwegsamkeiten mutig und geschlossen, in der gleichberechtigten Schwangerenvorsorge, weiterzugehen.

Karen Kunze, DHV-Kommunikation

Podiumsdiskussion zur S-3 Leitlinie Vaginale Geburt am Termin

Vergangenen Dezember hat die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. die S3-Leitlinie veröffentlicht. DHV-Präsidiumsmitglied Andrea Ramsell beschreibt im Rahmen der Podiumsdiskussion ihre Bedeutung für die Geburtshilfe:

Die Leitlinie ist ein Meilenstein, denn der Großteil der Geburten in Deutschland findet vaginal statt. Seit ein paar Monaten existiert hierfür nun eine Leitlinie auf hohem Evidenzniveau. Und nicht nur das: Die Leitlinie stellt die Frau in den Mittelpunkt. Sie geht von den Bedürfnissen der Frau nach Beratung, Aufklärung und bestmöglicher, evidenzbasierter Betreuung und Behandlung aus. Die Leitlinie hat zudem das Potenzial, die Berufsgruppen näher zusammenzubringen. Da einige Leitlinienempfehlungen grundsätzlich anders sind als die praktische Arbeitsweise in vielen Geburtskliniken, befördert sie idealerweise den interprofessionellen Austausch. Viele geburtshilfliche Teams müssen ihre klinischen Standards anpassen, und dazu gehört die gemeinsame Auseinandersetzung der beteiligten Berufsgruppen über die gelebte Praxis. Das ist im Grunde wie bei der Leitlinienarbeit selbst: Auch dort ringen die unterschiedlichen Professionen um eine gemeinsame, evidenzbasierte Vorgehensweise.

Hoffentlich ist dies der Auftakt für einen dringend notwendigen Kulturwandel in der Geburtshilfe. Wir haben in der Vergangenheit oft von den ökonomischen Bedarfen der Kliniken und den arbeitsorganisatorischen Bedarfen der Professionen aus gedacht und auf dieser Basis Betreuungsgrundsätze ausgerichtet. Der frauzentrierte Blick bietet die Chance einer anderen Geburtsbetreuung. Sowohl im Nationalen Gesundheitsziel als auch in der S3-Leitlinie Vaginale Geburt am Termin wird eine Eins-zu-eins Betreuung empfohlen. Für die Hebammen heißt die Umsetzung dieser Empfehlung eine bessere Personalbemessung und andere Arbeitsbedingungen.

Andrea Ramsell, Beirätin für den Angestelltenbereich

Thementisch Ammely – Warum wir das jetzt brauchen!

Ammely ist seit gut einem Jahr die Online-Vermittlungsplattform des DHV. Und sie soll in Zukunft für den Verband eine wichtige Rolle spielen: im Rahmen der Digitalisierung des Gesundheitswesens, aber auch, um darüber Informationen zur Versorgungssituation für die berufspolitische Arbeit zu gewinnen.

Ammely ist für DHV-Präsidentin Ulrike Geppert-Orthofer eine Herzensangelegenheit – deswegen hat sie ihr auf diesem Kongress einen eigenen Thementisch gewidmet. Geppert-Orthofer schilderte zu Beginn der Veranstaltung die Entstehungsgeschichte von Ammely. Die Idee dazu entstand aus der Beobachtung, dass im Rahmen der Digitalisierung im Gesundheitswesen sich ein Markt entwickelt, der auch die Hebammen in ihrer alltäglichen Arbeit betrifft und in Zukunft noch tiefgreifender beeinflussen wird. Die Digitalisierung sei eine Entwicklung, die kommen werde, und die der Berufsverband als Chance sieht.

Viele Dienstleister für die Unterstützung bei der digitalen Arbeit von Hebammen sind bereits am Markt. Sie alle, und auch der GKV, wissen derzeit mehr über die Berufsgruppe als der DHV selbst. In Ammely sieht der DHV das entscheidende Tool, mit dem Informationen über die Versorgungssituation gewonnen werden können und das damit die berufspolitische Argumentation stärken kann. Nur hier liegt die uneingeschränkte Datenhoheit beim DHV.

Die Präsidentin möchte mit diesem Thementisch die Skepsis nehmen, dass Daten auf Ammely zu Fremdzwecken gewonnen oder gar weitergegeben werden. Die digitalen Engagements des DHV sollen dazu dienen, der Hebammenschaft Zugang zu Daten „über sie“ zu verschaffen. Die Informationen von der Plattform liegen nur in den Händen des DHV und eben nicht denen anderer. Das sei bei Ammely absolut sichergestellt – und zwar nur bei Ammely.

Der DHV verfolgt mit seiner Strategie zur Digitalisierung, zu der auch Ammely gehört, den souveränen Umgang mit Daten, eine Verbesserung der Versorgungsqualität sowie eine Verbesserung der beruflichen Praxis für Hebammen. „Wir können jetzt über Ammely gutes, fundiertes Wissen für Hebammen generieren. Diese Chance ist jetzt da – und nicht erst in einem oder zwei Jahren“, so Geppert-Orthofer.

Zum Abschluss bat Geppert-Orthofer die Teilnehmer*innen darum, Ammely zu unterstützen. Sie betonte, dass es ihr generell für die Arbeit im Verband wichtig sei, dass Entscheidungen verstanden werden und ein Austausch ausdrücklich gewünscht sei.

Karen Kunze, DHV Kommunikation

Internationales Forum: Continuity of Care

Das internationale Forum war hochkarätig mit Prof.in Carolin Homer aus Australien, Prof.in Hora Soltani aus Großbritannien und der Präsidentin des Royal College of midwives (RCM) Katherine Gutteridge besetzt.

Carolin Homer stellte vor, welche positiven Folgen die durch Hebammen für das Outcome von Mutter und Kind hat. Das wirksamste Mittel zur Bekämpfung von Frühgeburtlichkeit und Säuglingssterblichkeit sei es, wenn jede Frau eine ihr bekannte Hebamme hat, die sie während der Schwangerschaft, der Geburt und der Stillzeit betreut – das ist der Kern der Gesundheitsversorgung. Sie begründet das sehr eindrücklich durch Studien und persönliches Erleben. Wir beobachten es bei uns selber: wir sehen gern die gleichen Menschen, in die setzen wir Vertrauen, weil wir sie kennen. Wir kaufen unseren Morgenkaffee im selben Café, denn die meisten Menschen lieben Rituale. Vor allem, wenn es schwierig wird, wenn es Probleme gibt, wollen wir nicht herumgereicht werden und genauso geht es auch schwangere Frauen. Dabei geht es um das Vertrauen in die (be-)handelnde Person, um den Stil des Umgangs und um die Kommunikation miteinander. Krankenhäuser und Praxen können nach denselben Richtlinien arbeiten – die Behandlung in A und B ist gleich. Fachlich sind sie auf demselben Niveau. Aber die Beziehungen machen einen Unterschied und dort zeigen Schwangere (und ihre Babys), die nur von einer Hebamme oder höchstens von einer kleinen Gruppe von Hebammen betreut wird, das beste Outcome. Eine kleine Gruppe – Wie viele sind das? Weniger als fünf – wahrscheinlich sind vier besser. Das Prinzip: Jede Frau hat damit eine Erst-Hebamme, das ist diejenige, die in erster Linie für sie zuständig ist. Sowie eine Zweit-Hebamme die einspringt, wenn die erste Hebamme keine Zeit hat. Wenn eine Hebammenpraxis gut organisiert ist, dann ist bei 80 % der Frauen die Erst-Hebamme bei der Geburt dabei.

Bei dieser Betrachtung und der Studienlage sind mir viele Lichter aufgegangen. Dieser Vortrag hat viele Gedanken in mir ausgelöst, wie effektiv und evidenzorientiert die derzeitige Schwangerenbetreuung in Deutschland ist. Da müssen wir einiges verändern, wenn es uns wirklich um die Frauen geht.

Hora Sultani aus Großbritannien stellte vor, welchen Einfluss die Hautfarbe auf die Parameter Frühgeburt und Neugeborenen-Sterblichkeit haben. Zahlen aus Großbritannien zeigen, dass Frauen mit Schwarzer Hautfarbe und asiatische Frauen, sowie Frauen in Migrations-Situation ein deutlich schlechteres Outcome für ihr Baby haben, als weiße Frauen. Sie macht dafür sowohl sprachliche Barrieren verantwortlich, als auch fehlendes kulturelles Einfühlungsvermögen. Bei den erhobenen Daten in der MBRRACE-UK Studie stellt sie fest: Migrantin ist nicht gleich Migrantin, Stereotype sind nicht hilfreich. Hebammen spielen in der Betreuung von Migrantinnen eine Schlüsselrolle als Wegbereiterinnen. Wichtig ist die Betreuungskonsistenz. Ein kultursensibler Umgang mit anderen Menschen ist dabei hilfreich und auch eine gelebte Interdisziplinarität. Dazu muss man nicht alle Kulturen und deren Besonderheiten kennen, denn in dieser sehr diversen Welt können wir nicht alles über alle Kulturen wissen.

Sie fasst zusammen: Compassionate und Cultural Competencies of Care sind die Schlüssel für eine erfolgreiche Betreuung von Migrantinnen. Ein sehr interessanter Einblick in das britische Gesundheitssystem und wo Forschung Wirkung zeigt. Mich hat der Satz entlastet, das man nicht jeder Besonderheit jeder Kultur kennen muss- als Deutsche bin ich da zu gründlich.

Katherine Gutteridge lenkte den Fokus auf die psychische und mentale Gesundheit von Schwangeren. In Großbritannien liegt zurzeit ein großer Fokus auf der Verbesserung der mütterlichen Betreuung. Dabei wurde bisher zu wenig auf die geistige und seelische Gesundheit geachtet. Auch hier spielt eine Verbesserung der multidisziplinären Zusammenarbeit eine große Rolle. Darunter versteht sie die Zusammenarbeit von Hebammen mit Gynäkologinnen, mit Physiotherapeutinnen und Psychotherapeuten und anderen Professionen. Eine große Ressource beziehungsweise das große Ziel des Umbaus in Großbritannien ist zurzeit die bessere und vor allem gerechte Bezahlung der Geburtshilfe – sie soll einfacher und fairer werden. In Großbritannien sind alle Hebammen beim nationalen Gesundheitsdienst angestellt. Sie sind die einzige Berufsgruppe, die bei einer Geburt anwesend sein muss. Dabei sind sie diejenigen, die beurteilen können, ob eine Geburt physiologisch verläuft, oder ob Hilfe beziehungsweise eine andere Profession dazu geholt werden muss. Sie stellt noch etwas anderes in den Mittelpunkt – die Frau als Patient. Sie selber würde die Frau nie als Patientin bezeichnen, aber so ist der Sprachgebrauch im englischen Gesundheitssystem. Das stellt auch klar:  Ihre Entscheidung zählt. Der Fötus hat erst nach der Geburt eigene Rechte. Deswegen muss die informierte Entscheidung der Frauen im Mittelpunkt stehen. Viele der Veränderung im Gesundheitswesen beruhen auch darauf, dass sich die Arbeit der Hebammen ändern muss. Bei all diesen Änderungen müssen die Hebammen beteiligt werden.

Dieser Vortrag hatte viele Facetten, die am Ende gar nicht so leicht zusammenzufassen waren. Erstens ein Plädoyer für einen neuen Focus in der Schwangerenbetreuung: Mental Health. Zweitens für eine gerechtere Vergütungsstruktur in der staatlich finanzierten britischen Geburtshilfe. Und drittens eine Umstrukturierung der Schwangerenbetreuung in Richtung Continuity of Carers, bei der die Hebammen unter allen Umständen mit beteiligt sein müssen. Gesundheits- und Berufspolitik- verbunden mit ihrem persönlichen Anliegen als Hebamme – präsidial halt. Ein spannenden Plenum, das in mir viele Fragen in Bezug auf die Zukunft des Hebammenwesens in unserem Land aufwirft.

Fachforum Latenzphase verstehen und unterstützen

Zwei herrlich unterschiedliche Vorträge fanden hier ihren Platz. Einmal der sehr praxisnahe über die Anwendung von TENS. Die Kollegin Anna Hultsch arbeitet in Großbritannien und berichtet über ihre Erfahrungen und die aktuelle Studienlage zum Einsatz von TENS durch Gebärende. Sie erzählte davon, wie ihre Arbeit im Birthcenter aussieht und dabei kam auch heraus, welche Philosophie in der Geburtshilfe dort vertreten wird. Im Grunde zuerst einmal wird dort eine positive Einstellung zur Geburt vermittelt. Getragen durch sehr viel Kontakt und Bestärkung der Frauen in der Schwangerschaft und – die Latenzphase findet in der Regel zu Hause statt, und wird eben dort mit TENS von den Frauen selbst begleitet. TENS wird zur Schmerzlinderung eingesetzt und sehr gut angenommen. Ein Vortrag über ein Thema, das mir erst total uninteressant erschien (tut mir leid!), das aber viele Facetten am Thema selbst und abseits davon eröffnet hat- eine echt positive Überraschung für mich. Danke Anna Hultsch!

Prof.in Mechthild Groß begann ihren Vortrag über die Latenzphase mit einem Einblick in ihren Berufsalltag: Dienstag ist immer ihr Kreißsaaltag. Also, raus aus dem Elfenbeinturm! Nur heute gab es eine Ausnahme für sie, weil sie unbedingt am internationalen Plenum teilnehmen wollte. Die Einführung in das Kollektiv, das Schwangere heute darstellen zeigte eindrücklich “Das Gesunde wird immer heterogener“. Ein kurzer, aber beindruckender Exkurs darüber, das sich die Geburtsdauer nicht an der Gauß´schen Normalverteilung orientiert, sondern schiefverteilt (Aha- rechtsschiefe/linkssteile Verteilung) ist, führte dann zu weiteren Erkenntnissen zur Dauer der Latenzphase und zur Einschätzung der Länge der Geburtsdauer bei der Frau und der Hebamme. Die verschiedenen Gesichter des Geburtsbeginns zeigte sie anhand der fünf Bedeutungseinheiten auf: gastrointestinale Beschwerden, unregelmäßige Schmerzen, Flüssigkeitsverlust, emotionale Unruhe und anderes (darunter verbergen sich andere Symptome). Die Erkenntnis, dass jedwede Intervention (auch „weiche“ wie bspw. sozialer Support durch Gespräche mit der Hebamme) an der Rate an Spontangeburten nichts verändert, ließ uns alle etwas ratlos zurück.

Mechthild Groß gab uns aber noch folgendes mit auf den Weg: „Das Gelingen der normalen Geburt hängt von der Arbeits- und Willkommenskultur des Kreißsaals ab“. Wir als Hebammen sollten gesundheitlich denken und handeln. In der folgenden lebhaft geführten Diskussion riet sie zu mehr Hebammensprechstunden an Kliniken, an die sich die Schwangeren mit allen Fragen jederzeit wenden können, auch und gerade in der Latenzphase. Ein toller Vortrag.

Fachforum Professionelles Handeln

Nina Peterwerth beschäftigt sich mit der Risikowahrnehmung von geburtshilflichen Fachpersonen. Dazu schreibt sie ihre Promotionsarbeit. Ich habe in dem Vortrag viele neue Begrifflichkeiten gelernt, mit denen ich mich weiter beschäftigen werde. Zum einen ist das: kumulative Promotion. Diese entsteht durch das häppchenweise Veröffentlichen von Forschungsergebnissen. Die jeweils in Fachzeitschriften veröffentlichen Ergebnisse können erst danach der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Deswegen konnte Frau Peterwerth auch keine ihre Ergebnisse präsentieren, aber sie hat gekonnt den theoretischen Unterbau dargestellt und uns Urteilsheuristiken näher gebracht. Wir alle orientieren unser Handeln an Verfügbarkeitsheuristiken und auch nach Repräsentativitätsheuristiken (wenn sie jetzt „Aha!“ denken, geht es ihnen wie mir). Dabei handelt es sich um mentale Strategien, um Risiko zu managen.  Da wir das als Hebammen an jedem Tag viele Male tun, sollten wir überprüfen, woran wir unser Handeln orientieren und das kritisch hinterfragen. Mehr dazu im Hebammenforum, wenn die Ergebnisse veröffentlicht sind. Wir sind schon im Gespräch dazu.

Dr.in Anne Kasper referierte über professionelles Handeln in der Geburtshilfe. Was bedeutet Professionalität überhaupt, woran orientieren wir uns. Wie stellt sich professionelles Handeln dar. Neben klaren Kriterien spielen auch Intuition und Sozialisation eine Rolle. Anne Kasper führte einen neuen Begriff für das Wort „Beziehung“ (zwischen Hebamme und der Betreuten) ein und zwar „Arbeitsbündnis“ – das kam gut an. Als professionell Handelnde sollten und müssen wir uns stetig weiterentwickeln. Ein wichtiger Appell!.

Beim Vortrag von Christine Wehrstedt habe ich herzhaft bedauert, dass es keine Live-Diskussion und vor allem, dass keine Vertreterinnen* der Ärztinnen*schaft anwesend waren. Sie war herrlich streitbar und klar in ihrer Darstellung der Funktionsweise von natürlichen Oxytocin im Vergleich zu synthetischem Oxytocin. Das sie als seriöse Wissenschaftlerin auch die entsprechenden Belege zeigen konnte, war klar: An die Natur reicht nichts heran. Dass synthetisches Oxytocin zu den gefährlichsten eingesetzten Medikamenten zählt, wusste ich nicht. Unglaublich angesichts der Tatsache, dass es bei 30% aller Gebärenden sub partu und bei fast allen post partum eingesetzt wird. Am erhellensten waren Christines Ausführungen zum routinemäßigen Einsatz von Oxytocin zur Vermeidung eines erhöhten Blutverlustes. Sie merkte an, dass hierbei nur ein einziges Symptom angeführt wird: die Höhe des Blutverlustes. Was aber ist mit den anderen Folgen, wie Senkung der Stillrate, mögliche epigenetische Effekte und, und, und. Dazu gehört eine Analyse, Wertung und Abwägung aller Folgen (positiver und negativer) durch den Einsatz dieses Medikaments. Das hätte ich gerne nochmal live beim nächsten Kongress.

Susanne Steppat, Chefredakteurin des Hebammenforums